Opera publica

Publikation herausgegeben von Margit Nobis und Clemens Mock, Offene Gesellschaft für bildende Kunst.
Verlag: edition mosaik, 102 Seiten. Mit: Robert Adler, Valentin Aigner, Oswald Auer, Gábor Bachman, Simon Bauer, Kerstin Bennier, Monique Berger, Matthias Buch, Ivica Capan, Harry Ecke, edition mosaik, Robert Eder, Anna Margit Erber, Christof Gaggl, Lucas Gehrmann, Mario Grubisic, Harald Grünauer, Erik Hable, Christina Hartl-Prager, Jeanette Hayes, Judith Huemer, IFEK, Olivia Kaiser, Klara Kohler, Anna Königshofer, Künstlerhaus, Martin Lampprecht, Hannes Langeder, Ernst Logar, Elisabeth Lukas, Marko Markovic’, Kai Damian Matthiesen, Anna Mitterer, Clemens Mock, Andreas Mohrhagen, Peter Moosgaard, Martin Music, Margit Nobis, Oberösterreichischer Kunstverein, Offene Gesellschaft für bildende Kunst, Daniela Pesendorfer, Joanna Pianka, Robert Pfaller, Andreas Prinz, Alexandra Reill, Michael Rottmann, Fiona Rukschcio, Patrick Schabus, Paul Maria Schneggenburger, Veronika Schubert, Bastian Schwind, Christian Stefaner-Schmid, Herbert Christian Stöger, Lisa Stuckey, Andrea Traxler, Salvatore Viviano, Patrick Weber alias Crazy Bitch in a
Cave, Ruth Weismann, Matthias Zangerl

opera publica

der chor aus arte in der postpost arie
in nachfolge des bunarotti bittet euch
im klee zum danza in den tempel
k/ haus.
vorerst in moll um all die charme zu tu.ren
den rotteppich zu schaumen und dann
den zeigefinger hinauf, klexerei brennend fackelnd
zum gah & ohh dem publikum, euch,
den kunst- u. schwarzseher die trophaen
aus schwitze an die wand zu nageln,
vorhang uff, zum raunen, naschen und zum selfie.
auf ihr gleichgesinnten: rebellentum,
doch wohin im fluxus
dem chorus im kannon folgend
der wie ein fetzen um den nabel
der sittsamkeit ein blutgerinsel
auf die stirn gepinselt.: *da hinauf hinaus*
setzt auf den zitter der furchthosen im bosszwirn,
hier wird der champanskij zum kater transzendiert:
wir zwerge fu.r BIP und TTIP
wachsen
oder horen niemals auf das geblase
zu schmieren denn das fett ist der glanz
des bauches deren ausmas
uns nahren soll.
*rumms*, so kommt stimmung
in das kartel der kravattenschelme
so hat doch deren blase
so viel an adiposen umfang
an speck das man aus dieser,
waren wir kanibalen,
gern die volkerverstandigung
sattigen konnte.

-amoascolto/Andreas Mohrhagen, Hamburg

 
Buchcover der Publikation Opera publica [Hg. Nobis/Mock] unter Verwendung des Bildes in bocca al lupo sfocato, Clemens Mock, 2016
Buchseiten 2 und 3. Abb.: Salvatore Viviano, PAPARAZZI
Buchseiten 14 und 15. Abb.: Herbert Christian Stöger, Prolog 1-3 und Christian Stefaner-Schmid, CON-MACHINE
Buchseiten 20 und 21. Abb.: Ivica Capan, Sportsman 1 und Valentin Aigner, Fluke
Buchseiten 58 und 59. Abb.: Gábor Bachman, "ZIPPTUBE" ARCHITECTURAL PROJECT und Crazy Bitch in a Cave während des Eröffnungsabends der Opera publica Performance.

Buchseiten 62 und 63. Abb.: Anna Königshofer und Lisa Stuckey, (she) picture(s) porn. A fictional rehearsal

Buchseiten 64 und 65. Abb.: Anna Königshofer und Lisa Stuckey, (she) picture(s) porn. A fictional rehearsal. Text von Robert Pfaller, "Ein zarter Hauch von Pornographie"
Buchseiten 70 und 71. Abb.: Kulturverein IFEK, Kunstuniversität Linz, Jakob Dietrich, Ewald Elmecker, Margit Greinöcker, Conny Habbel, Marion Habringer, Elke Krystufek, Hannes Langeder, Natalia Müller, Claudia Nussbaumer, Sabine Stuller, Karolina Szmit, Horst Scheiböck, Gunda Wiesner, Berthold Zettelmeier, Wir sagen JA zueinander
Buchseiten 74 und 75. Abb.: Klara Kohler, Augenblick ist Ewigkeit ?
Buchseiten 84 und 55. Text Harry Ecke, "Ein E ist kein U!!!"
Buchseiten 88 und 89. Abb.: Christian Stefaner-Schmid, o. T. (Auszüge eines massiven Facebook-Serienposting)
Buchseiten 94 und 95. Abb.: Veronika Schubert, Archiv-Nr. 0526 und Christof Gaggl, come back II part I, M - box 2 und 1
Margit Nobis, Clemens Mock

Opera publica

Epilog

Zu einer bildhaften Aufführung im Allgemeinplatz haben wir 40 zeitgenössische bildende KünstlerInnen
geladen. Als Opera publica entwickelten wir 2016 die Gemeinschaftsausstellung im Künstlerhaus, Wien. Der vielgestalte Repräsentationsbau am Karlsplatz bot sich an, unterschiedliche Kunstformate zur Inszenierung eines Werk-Tableaus zu vereinigen. Vollständig autark in Konzeption und Zusammenstellung konnten wir eine Ausstellung erstellen, die unserer Vorstellung vom „Kunstwollen“ sehr nahe kam. Das Bühnenhafte, die Arabeske, die zur Form gewandelte Figuration, die Inszenierung, das Publikum und die Öffentlichkeit waren titelgebend und tragende Themen.

Opera! Eine „elitäre Kunstschau für Gleichgesinnte“

Eine Opernaufführung ist gemeinhin eine teure und distinguierte Veranstaltung der sogenannten Hochkultur. Unserem Konzept folgend, versuchten wir, den theatralischen Begriff als Form und Inhalt einer Ausstellung bildender Kunst für ein egalitäres Publikum zu zeigen. Opera nicht im Sinn einer musikalischen Bühnenaufführung, sondern als Sinnbild für eine Inszenierung von Kunst, die einem Narrativ folgt. Das Wort publica als Versprechen einer Schau auf Augenhöhe – im Wechselspiel mit dem Gegenüber: dem Publikum, der Öffentlichkeit. Im Unterschied zur gängigen Ausstellungspraxis hat die Opera publica bewusst auf Saaltexte oder KuratorInnen-Statements verzichtet. Den BesucherInnen wurden beim Betreten der Ausstellung keine deutungshoheitlichen Rezeptionsanweisungen vorgeschrieben. Stattdessen wurden im ersten Saal Auszüge aus dem interimistischen künstlerischen Forschungsprozess Umkreisungen von Alexandra
Reill angebracht. Auf den rund 200 Digital Prints kamen Fragen zu zeitgenössischen Positionierungen und Relevanzen künstlerischer Produktion und damit der Rollen und Stimmen von KünstlerInnen in Gesellschaften des 21. Jahrhunderts zur Sprache. Gegen die Intention des Anführens „großer“ Namen im Kunstmarkt und den konventionellen Institutionen listet die Publikation Opera publica die Namen aller am Projekt Beteiligten gemeinsam auf: vom Aufbau-Team über das Lektorat, die KünstlerInnen und AutorInnen hin zu den TechnikerInnen, uns als InitiatorInnen und vielen weiteren.

Opera publica – ein heterogenes Gesamtkunstwerk

Die Opera ist in unserem Konzept auch der Leitbegriff für ein Erlebnis: eine spielerische Praxis auf einer gesellschaftlichen Bühne, ein lustvolles Aufgreifen verschiedenster künstlerischer Ausdrucksformen – ohne den Anspruch auf theoretische Verkausalisierung mit hyperdiskursiven Wendungen in gigantische Kunst-Schubladen. Die Präsentation fußt auf dem Bedürfnis nach einem heterogenen Gesamtkunstwerk. Lucas Gehrmann wies in seiner Rede zur Eröffnung der Opera publica auf Odo Marquards Definition des Gesamtkunstwerks hin, welches „die Tendenz zur Tilgung der Grenze zwischen ästhetischem Gebilde und Realität“ hat. Die Opera publica sollte eine Plattform sein, die lebendige Kunst widerspiegelt, sie in das Geschehen involviert und in die Öffentlichkeit ausbreitet. Die BetrachterInnen der Werke in der Gemeinschaftsausstellung sollten sowohl ZuschauerInnen als auch AkteurInnen sein können. Dieses Verhältnis zwischen Publikum und Werk, Mensch, Objekt und Inszenierung spielte eine schillernde Rolle im
Prozess der ganzen Projektproduktion. Der kreative Umgang mit der Wechselwirkung dieser verschiedenen Konstanten ist Teil der experimentellen Methode und definiert die Arbeit an der Opera publica. Ein Fragment einer szenischen Lesung von Frank den Oudsten, der selbst als Künstler, Performer und Szenograf arbeitet, charakterisiert ein ähnliches Vorgehen: „Der Szenograf hat den Raum, das Publikum die Zeit. Es ist dieser ungeschriebene Vertrag zwischen beiden, der die Inszenierung als offenes Werk definiert. […] Spannende Inszenierungen fangen im Sinne von spectatio, schon lange vor dem Anfang an und dauern ebenso lange nach dem Ende fort.“

publica. Das Publikum als Konzept

Dem Eröffnungsabend der Ausstellung Opera publica kam konzeptionelle Bedeutung zu: Kunst sollte
nicht vor-, sondern aufgeführt werden. Die RednerInnen Olivia Kaiser und Lucas Gehrmann waren als rhetorische PerformerInnen eingeladen. Crazy Bitch in a Cave hat seine Eröffnungs-Arien vor Kunst als „Bühnen-Bild“ gesungen. Bewegte man sich als BetrachterIn durch Raum und Installation, konnte man die Performance aus unterschiedlichen Perspektiven sehen, wobei die Rahmenraumkonstruktion von Mitterer/Buch die Rahmen bildete. Sowohl die musiktheatralische Darbietung als auch die gesamte Bildpräsentation erhielt dadurch einen weiteren, szenischen Dimensionsshift, der es ermöglichte, auch rahmenlose Kunstwerke optisch einzufassen. Diese Rahmung zwischen der zweiten und dritten Dimension variierte stets mit dem Wechsel der Stand- und Blickpunkte. Auch dem Bild-Gebilde, also den bespielten
Räumen als Meta-Erzählung, gab die Konstruktion Rahmen. Dass man sich bei der Schaubewegung
im Raum eines Raums befand, war eine humorvoll-illusionistische Anlehnung an die Logen der Opernhäuser.

Ornament als Werkmontage

Gérard Raulet bezieht sich auf Walter Benjamin, wenn er darlegt, dass das Ornament mehr als eine Oberflächenerscheinung ist: Es macht die kulturphilosophische und -politische Grundstruktur erst fassbar. Mit ornamentalen Parcours versuchten wir, von den Arrangements künstlerischer Zitatverfahren zu einem Gesamteindruck der Zeichenkombinate zu gelangen. Zueinander in Beziehung gesetzt und zusammen gesehen ergab das Gebilde eine ornamentale Struktur: weniger durch ein Muster der Bilderwand, sondern durch die Korrespondenz der Inhalte.

Ornament als Gemeinsinn. Publikum als Öffentlichkeit

Auf die Grundbedeutung des Ornaments im Altgriechischen hat Lucas Gehrmann mit Bezug auf Günter Irmschers Untersuchungen u. a. in seiner Eröffnungsrede zur Opera publica hingewiesen. Nicht etwa Dekor ist das Ornament, sondern „,Ordnung‘, ,Gefüge der Welt‘; außerdem im erweiterten Sinn auch die Ausstattung der Welt mit Lebewesen.“ Gehrmann führte, Oesterle zitierend, weiter aus, dass dem sich ins Bild- bzw. Zeichensprachliche niedergeschlagenen Ornament in der Antike eine ausgezeichnete Stellung zukam, „weil
es [das Ornament] aus dem Nutzzusammenhang der Lebenserhaltung herausgelöst ist, gleichwohl aber den Lebensabläufen – sie unterbrechend – spielerisch folgt. Seine Nähe und Distanz zum Leben eröffnet einen eigenen ästhetischen Spielraum, der nicht der Selbsterhaltung durch Handlung, sondern dem Selbstgefühl einen Ort gibt. Die erkennende Selbstbegegnung im genussvollen Anschauen […].“ Dieser individuell-emanzipatorische Umstand ist aber gleichzeitig Teil einer pluralistischen Konsenssuche – durch den Appell an ein "Gefühl des Schönen als Vermittlung dessen, was Kant den 'gemeinschaftlichen' oder noch den 'Gemeinsinn' nannte". Wieder auf Walter Benjamin zurückkommend, findet bei ihm das Ornament auch die Bezeichnung Phantasmagorie. Benjamin zeigt, dass das Ornament nicht nur die Verdinglichung verdeckt, sondern sie entblost und zur Schau stellt, indem sie diese ausstellt. In dieser Hinsicht war das ausstellende
Moment im Ornamentalen integraler Bestandteil unseres Konzepts. Bezeichnenderweise setzt sich der von Benjamin angeführte Begriff Phantasmagorie im Griechischen aus Trugbild und Versammlung zusammen. Demzufolge ist die Phantasmagorie gewissermasen die Darstellung von Trugbildern vor Publikum. Auch in der Opera publica war die Ausstellungsflache eine Schaubühne. Eine Seh-Maschine. Bild-Welt und "Loge im Welttheater". Das Wort Publikum bezieht sich auf das lateinische Wort publicus: dem Volk, der Allgemeinheit
gehörig. Zügig ausgesprochen erinnert der Ausstellungstitel Opera publica nicht von ungefähr an die Republik. Res publica, die öffentliche Sache. Der Begriff der Öffentlichkeit ist dabei ein sehr wichtiger: für das Selbstverständnis unseres Projekts als auch für die Kategorisierung des Begriffs Publikum. Sind doch laut Wortdefinition nur die ZuschauerInnen einer für jedermann zugänglichen Veranstaltung ein Publikum – nicht aber die TeilnehmerInnen einer Versammlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Als Opera publica wurden im antiken Rom auch öffentliche Werke bezeichnet. Von der Allgemeinheit für die Allgemeinheit geschaffen.

Projektcredits: Redaktionelle und inhaltliche Verantwortung: Margit Nobis und Clemens Mock. Lektorat: Andrea Traxler. Grafische Gestaltung und Satz: AS, Berlin, Margit Nobis und Clemens Mock. Lithografie: Robert Eder. Gesamtherstellung: Grasl FairPrint, Bad Vöslau, www.grasl.eu. Papier: Zur Verfügung gestellt von Antalis. Dieses Buch erschien im Zusammenhang mit der Gemeinschaftsausstellung Opera publica im Künstlerhaus, Wien, Karlsplatz. Dank an alle Beteiligten und HelferInnen.


Das Buch Opera publica, ISBN: 978-3-9504466-4-7, kann hier erworben werden: https://www.liberladen.org/product/opera-publica/

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